Mindestens einmal pro Jahr ist es sinnvoll, die Arbeit im Esperanto-RetRadio zu betrachten. Das habe ich bisher nach jedem weiteren Jahr gemacht. Am 29. Februar ist das neunte Jahr zu Ende gegangen, in dem täglich Audio-Artikel des Esperanto-RetRadios erschienen sind; und das ist Anlass, sich mit den Ergebnissen der Arbeit zu beschäftigen.
Die erste Erkenntnis ist, dass die Anzahl der Zuhörer nur langsam wächst. Im vergangenen Monat gab es ca. 29000 Seitenaufrufe, also etwas weniger als 1000 pro Tag. Andererseits gibt in der länderspezifischen Statistik eine signifikante Änderung, weil jetzt Russland den dritten oder vierten Platz nach der USA und Brasilien einnimmt. Auch die Anzahl der Seitenaufrufe aus Südkorea ist signifikant gestiegen.
Es ist also die Zuhörerschaft außerhalb Europas stärker geworden, während das zentrale Land Europas, Deutschland nämlich, in dieser Hinsicht weiterhin schwach ist. Und das ist ein verständliches Phänomen, wenn man die Situation des Esperanto in Deutschland kennt. In Deutschland war das Interesse für fremde Sprachen nie sehr groß, weil sich das Land im Zentrum Europas befindet und man dort die nach Anzahl der Sprecher stärkste europäische Sprache spricht.
Und nach dem zweiten Weltkrieg ist Englisch mehr und mehr integraler Teil des Sprachbewusstseins der Deutschen geworden. Die englische Sprache ist ja im Prinzip auch eine germanische Sprache, und darum ist sie ziemlich ähnlich zum Deutschen. Und viele arme Deutsche sind während des 19. Jahrhunderts in die USA emigriert, wo sie eine prosperierende Volksgruppe wurden. Die Neigung der Deutschen, Englisch zu lernen und zu sprechen ist also ziemlich stark.
Für Esperanto bleibt da nicht viel Platz. Für die meisten Deutschen, die sich für Esperanto interessieren, ist die Sprache selbst nur ein Mittel, um Teil einer internationalen Gemeinschaft zu sein, also um an Esperanto-Veranstaltungen teilnehmen zu können. Und wegen der zentralen Position Deutschlands in Europa finden viele dieser Veranstaltungen auch in Deutschland statt, und deshalb können viele Deutsche dort teilnehmen.
Das bedeutet, dass sie sich ihren Wunsch nach internationalen Kontakten gut erfüllen können – ob im Land selbst, ob in Nachbarländern oder auch auf anderen Kontinenten –, weil sie über die dafür notwendigen finanziellen Mittel verfügen. Beim RetRadio zuhören ist nicht notwendig und liefert diesen Menschein keinen ersehnten Wert.
Ähnlich ist die Situation in Großbritannien, Skandinawien und den Niederlanden. In Ländern mit romanischen Sprachen (Frankreich, Brasilien, Italien, Spanien etc.) ist das Interesse für ein Internet-Radio auf Esperanto größer. Man fühlt dort nicht die sprachliche Nähe zum Englischen und braucht das Radiohören, um in Kontakt mit der Sprache Esperanto zu bleiben. Das gilt zum Teil auch für osteuropäische Länder und für Russland.
Und schließlich gibt es die USA, die dauerhaft den ersten Rang in der Statistik der Seitenaufrufe einnimmt. Für Amerikaner ist Esperanto eine Möglichkeit, sich überhaupt mit einer fremden Sprache zu beschäftigen, die sogar ziemlich leicht erlernbar ist. Hunderttausende Amerikaner haben bereits Esperanto mittels Duolingo gelernt, aber das ist leider bis jetzt in der Statistik des Esperanto-RetRadios nicht merkbar.
Die Arbeit im RetRadio macht den Mitarbeitern große Freude. Esperanto ist eine bewundernswerte Spache, und sie an Zuhörer in der ganzen Welt zu richten, ist ein großes Erlebnis.
Wir befinden uns nun im zehnten Jahr unserer gemeinsamen Arbeit. Wir werden unserer Aufgabe treu bleiben.
(2020-05-13, Anton Oberndorfer; übersetzt von Richard Hable)